Fucking tausend Fragen! Jede Nacht.
Ich lieg dann so da, müde aber trotzdem wach, und drehe meine einsamen Runden im Gedankenkarusell. Stundenlang. Gedanken. Fragen. Thesen. Mehr oder weniger sinnvoll. Warum heißt Stuhl Stuhl und nicht Bett? Wenn ich mich nur fest trauen würde, vielleicht könnte ich dann doch unter Wasser atmen? Wenn man bevor der Fahrstuhl auf den Boden knallt, in die Höhe springt, bleibt man dann unverletzt? (ich kenne die Antwort inzwischen, ich habe die Frage gegoogelt;-))
Ich habe es meiner Mutter nie geglaubt, als sie meinte, „es wird die Zeit kommen, da liegst du auch nachts wach und denkst über Sachen nach, von denen du nie glaubtest, dass sie dich interessieren, aber irgendwie tun sie es doch, zumindest so sehr, dass du deswegen nicht mehr einschlafen kannst..“. So ein Käse, hab ich mir gedacht, da war ich noch jung und arglos…
Und heute? Gedanken, Fragen, Thesen. Stundenlang. Mehr oder weniger tiefgründig.
Warum darf mir jemand sagen, wie ich leben soll? Wenn das Schulsystem mein Kind krank macht, warum unternehme ich nichts dagegen? Was wäre, wenn Wahl ist und einfach gar keiner geht hin? Wie viele Weihnachten erlebe ich wohl noch? Wie viele Sprachen würde ich wohl inzwischen fließend sprechen, wenn ich meine freie Zeit nicht in „Sex and the City“, „Gilmore Girls“ und Co. sondern lieber in Lernen investiert hätte? Bin ich zu alt, um noch Klavier spielen zu lernen? Bin ich zu alt, um Minirock zu tragen? Kann man dafür überhaupt je zu alt sein? Wer hat das zu bestimmen? Bin ich alt? Alt ist nur eine Zahl und im Herzen bin ich 25. Will ich überhaupt 25 sein? Wo war ich mit 25?
Wahrscheinlich heulend auf irgendeiner Fensterbank mit lauter Musik, einem Glas Wein und meinem Tagebuch – wie so oft in der Zeit zwischen 25 und 30. In dieser Zeit war ich ständig verknallt und hatte mindestens genauso oft Liebeskummer, den ich zelebrierte als sei ich der Star in einem Musikvideo. Sinnead o`Connor mäßig – ihr wisst schon…
Doch trotz aller Tränen, fliegender Teller und peinlicher Wutausbrüche in vollbesetzten Clubs, das „Wenn ich einmal groß bin, dann werde ich…“-Gefühl machte einfach alles so viel besser. Dieser Deckmantel der Jugend, die ja dazu da ist, Fehler zu machen, schmiegte sich damals immer wohlig an mich und umflauschte mich liebevoll mit der Gewissheit, dass da noch so viel Morgen vor mir liegt, an dem ich alles anders machen kann…
Fast zwanzig Jahre später finde ich mich jetzt hier auf der Couch vor. Mürrisch, motzig, meistens jedenfalls. In den letzten paar Monaten jedenfalls.
Der flauschige, jugendliche Mantel kratzt, juckt und zwickt. Ich bin rausgewachsen. Das optimistische „Wenn ich einmal groß bin, dann werde ich…“-Gefühl ist inzwischen besser bekannt als „Wenn ich morgen noch nicht tot bin, werde ich…“-Gefühl und so oder so ähnlich fallen meine Antworten in letzter Zeit auch aus, wenn mich jemand fragt, was ich nächste Woche, morgen oder in ein paar Stunden mache.
Nächste Woche??? Morgen??? In ein paar Stunden??? WTF?
„Wenn ich noch nicht tot bin, dann können wir uns gerne nächste Woche treffen.“, „Wenn ich im September noch nicht tot bin, dann nehme ich Urlaub, aber wie soll ich das jetzt schon wissen können?“, „Wenn ich morgen noch nicht tot bin, dann weiß ich auch nicht.“
Mensch, da kommt doch Freude auf. Es ist derzeit eine wahre Wonne mit mir befreundet zu sein. Bestimmt. Ich bin zum Kotzen gerade und ich kann´s nicht ändern..
Noch vor vielen Jahren hätte ich einfach meine Sachen gepackt und das Land oder wenigstens die Stadt verlassen, mich auf das Leben eingelassen, die Dinge für eine Weile hinter mir gelassen. So sehr wie noch nie zuvor, wünschte ich mir, ich könnte genau das jetzt auch tun. Mir Matheo schnappen und mit ihm für ein halbes Jahr durch die Welt reisen, ihm echte Werte, echte Menschen, das echte Leben zeigen. Uns retten vor einem System, dass ich mehr und mehr verabscheue. Gleischgeschaltet und uniformiert sollen unsere Kinder sein. Individualität erkaufen sich Eltern, die genug Geld haben, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken, weil dort wenigstens so getan wird als wäre man um das Seelenheil besorgt. Vielleicht liegt´s an mir? Vielleicht, weil ich zu viel Pippi Langstrumpf und zu wenig Anika bin?
„Immer donnerstags gibt´s im Hort Wasser mit Geschmack“, sagt mir mein Sohn heute. Immer donnerstags. Aha. Was – nur mal ganz leise und vorsichtig gefragt – wenn es das einmal montags statt donnerstags gäbe? Wäre dann die Weltordnung in Gefahr? Ich habe es satt, das ganze Reglementieren, Uniformieren und Unterdrücken von individuellen Fähigkeiten.
Alles muss standardisiert, genormt und katalogisiert sein. Scheiß drauf, möchte ich Matheo zurufen, mach genau das, was du willst, was dir guttut, was dich glücklich macht und mach am besten alles anders. Keine Ahnung, ob anders richtig ist.
Keine Ahnung hab ich ihn letzter Zeit ganz schön oft. Keine Ahnung, wo ich hin will, wo ich herkomme, warum ich von da komme oder wie ich da überhaupt hingekommen bin. Das hier ist der fünfte Blog-Artikel, den ich in den letzten Tagen geschrieben habe, und hoffentlich endlich mal einer, bei dem ich auf Veröffentlichen und nicht vorher auf Löschen drücke.
Alles, was ich in letzter Zeit schreibe klingt nach meckernder Ziege und so gar nicht mehr nach mir. Am liebsten möchte ich mich selbst k.o. schlagen, weil ich mich schon so wundere, dass es noch keine anderer getan hat.
„Wollen wir ins Kino gehen, Schatz?“ „Nein, da ist es mir unbequem.“
„Lust auf indisches Essen?“ „Ne, da krieg ich Bauchweeeeh.“ (Anmerkung: am besten das „e“ bei „Bauchweh“ so saudumm in die Länge ziehen, bis man sich selber dabei ertappt, wie kacke das Grundschulmädchen-Getue zur faltigen Ü-40 Muddi passt.)
„Lust auf Sex?“ „Wie kannst du jetzt an so was denken, wo ich doch so deprimiert bin?“
Heul. Er heult, ich heule, Matheo heult, alle heulen, weil ich heule. Scheiße nochmal, wie mich das nervt.
Wie es mich nervt, dass ich bis heute gefühlte Ewigkeiten im Drogeriemarkt nostalgisch-melancholisch und in Erinnerung schwelgend vor den Produkten für die junge Haut ab 20 ausharre, wenn ich doch eigentlich aufgrund meines fortschreitenden Alters lieber direkt in den Gang mit der großen Schrundensalbenauswahl einbiegen sollte, um ja keine wertvolle Lebenszeit zu verschwenden. Aber ich kann nicht anders. Ich befinde mich in einem Krisenzustand. SOS.
Ist das schon die fucking Midlife-Crisis oder kann das weg?
Es ist 0.55 Uhr, Mann und Sohn schlafen schon, und ich habe echt alles dafür getan, um auch endlich müde zu werden. Ach was sag ich da? „Müde“ ist ja bekanntlich nicht das Problem. Müde bin ich immer. Immer seit über neun Jahren. Immer seit Matheo auf der Welt ist. Schreikind meets Chillout-Mama – ist halt so. Saumüde bin ich also immer. Schlafen kann ich halt nicht.
Matheo würde sagen, „Mama ist fucking müde“, und das triftt es derzeit am besten. „Ich bin so fucking müde“ ist mein Mantra. Gewissermaßen.
Aber eigentlich ist im Moment wohl alles irgendwie „fucking“.
Als wir letzten Freitag nach einer gefühlten Ewigkeit im Stau bei meinen Eltern in Österreich ankamen, und mich meine Eltern fragten wie die Fahrt letztlich so gewesen war, antwortete ich in bravem Tochterdeutsch: „Naja, die Autobahn war schon recht voll. Und da waren superviele nervige andere Autofahrer, die Dussel, die haben heute scheinbar das Blinken verlernt, aber das kann ja passieren. Ach, im Großen und Ganzen sind ja 3,5 Stunden Fahrt von München nach Brixen echt ok und selbst wenn es 20 Stunden gedauert hätte, ich möchte nirgends lieber als hier bei euch sein…“ ACHTUNG, tadaaa! Sohn meldet sich zu Wort.
Matheo an Opi: „So hat das die Mama nicht gesagt, Opi!“
Opi an Matheo: „Wie denn dann?“
Matheo an Opi: „Mama hat gesagt: „Boah, ich könnte so ausflippen auf dieser fucking Autobahn mit diesen fucking Fahranfängern, die alle so was von fucking blöd sind, dass sie noch nicht mal blinken können. Ich hab so null Bock fucking 20 Stunden auf der Autobahn abzuhängen, da fahr ich lieber wieder zurück als in das verkackte Österreich.“
Danke, Sohn, für so viel Ehrlichkeit zur rechten Zeit.
Schade, dass dir diese Tugend immer dann gerade nicht einfällt, wenn ich dich zum wiederholten Mal frage, ob du gerade Knete gegessen hast oder wenn ich dich frage, ob du schon alle Hausaufgaben gemacht hast. Schön, dass du genau dann so fucking ehrlich bist, wenn ich es am wenigsten brauchen kann!
PS:
So. Ich google jetzt ausgiebig „Midlife-Crisis“! In allen Varianten und hoffe, eine Antwort darauf zu finden, ob das jetzt so bleibt oder ob und wie ich das entsorgen kann. Und dann mach ich das. Hoffe ich. Will ich. Muss ich. Ich will nämlich gar nicht biestig, düster und fucking alles mögliche sein.
Ich will wieder tanzen in Unterwäsche in meinem Wohnzimmer wie früher, laut mitsingen und das Leben in all seinen neuen Facetten feiern. Auf meine Weise. Ehrlich und ungehemmt.
Ist man mit über 40 zu alt dafür? Mir doch dann egal;-)
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Was für ein toller, großartiger, fucking guter, ehrlicher Text.
Vielen Dank von einer Ü-40-Mutti, natürlich auch dauermüde.