Liebe Juno Vai,
normalerweise arbeite ich sonntags. Heute habe ich frei, die Sonne scheint und ich freue mich auf einen gemeinsamen Tag mit meiner Familie. Jetzt hat leider mein Bekannter Tim auf Facebook Ihren Artikel gepostet. Ich muss dazu sagen, dass Tim einer meiner Facebook-Freunde ist, bei dem ich eh schon die ganze Zeit überlege, sein Profil zu unterdrücken (oder wie immer man das nennen mag), da er ein selbsternannter Islam-Experte ist und immer genau die Artikel teilt, die ich doof finde. Nun hat er also Ihren Artikel geteilt. Und den finde ich leider noch bescheuerter als die Artikel, die Tim sonst so postet.
Als Mutter in Deutschland hat man es eh nicht leicht. Denn immer wissen andere Mütter, was besser für Dein Kind ist. Stillt man nicht, ist man zu egoistisch und sollte besser gar kein Kind bekommen. Stillt man länger als sechs Monate, übertreibt man es wiederum. Geht man schnell wieder arbeiten, ist man eine Rabenmutter. Arbeitet man nicht, ist man eine Glucke. Gibt man sein Kind mit einem Jahr in eine Kita, heißt es, wir hätten hier langsam französische Verhältnisse. Kümmert man sich selbst um das Kind, verwehrt man ihm soziale Kontakte mit anderen Kindern. Gibt man ihm Kekse, gewöhnt man den Nachwuchs zu früh an Zucker. Gibt man ihm ungezuckerte Reiswaffeln heißt es „Ihr seid doch auch mit Schokolade aufgewachsen und es hat euch nicht geschadet“. Die Liste könnte ich jetzt noch ewig fortsetzen, denn die „Müttermafia“ – wie meine Freundin Elke sarkastisch zu sagen pflegt – ist mittlerweile überall und lauert an jeder Ecke darauf, Müttern das Leben schwer zu machen.
Sie haben jetzt ein Plädoyer gegen die Spätgebärenden geschrieben. Immerhin beweisen Sie Humor, indem Sie ja selbst zu der Gruppe gehören, die Sie mit Ihrem Artikel angreifen. Dennoch machen sie damit den Frauen, die mit Ende 30 / Anfang 40 Nachwuchs bekommen, ein schlechtes Gewissen. Halten ihnen ihre eigene Vergänglichkeit vor, gehen davon aus, dass man als „verknöcherte, humorlose Endvierzigerin“ keine Kinderwitze mehr versteht und schreiben, dass es kaum Positives gibt, wenn man erst spät Mutter wird.
Scheinbar leben wir in völlig unterschiedlichen Welten. Meine Freundin Alex hat mit 44 gerade das erste Kind bekommen. Jedes Mal wenn ich sie anrufe macht sie einen mega entspannten, glücklichen Eindruck, ist topfit und jeden Tag stundenlang unterwegs mit Kind und Hund. Treffe ich hingegen die 10 Jahre jüngere Nachbarin mit ihren Kids blicke ich jedes Mal in ein verzweifeltes Gesicht und traue mich schon gar nicht mehr zu fragen, wie es denn geht.
Oder andere Frage: Was bringt es dem Kind, wenn die Mutter zwar 22 ist, sich aber alsbald vom Vater trennt, weil sie merkt, dass er doch nicht der Richtige war und als alleinerziehende Mutter, die wahrscheinlich noch nicht mal beruflich ein festes Standbein hat, permanent überfordert ist?
Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich ist es prinzipiell besser, früher ein Kind zu bekommen. Man hat statistisch gesehen mehr Zeit, die man zusammen erleben kann, weniger Komplikationen und Risiken in der Schwangerschaft und ist vielleicht sogar körperlich fitter. Aber im Leben ist halt nicht alles planbar. Und im Endeffekt ist es doch egal, ob man mit 25 oder 40 ein Kind bekommt: das Wichtigste ist es doch, dass man sein Kind liebt und eine tolle Mutter ist. Wir Menschen sind völlig unterschiedlich. Manche Frauen sind bereits mit 25 reif für Nachwuchs, andere – und da zähle auch ich mich hinzu – halt erst mit Mitte 30. Was ist daran verwerflich? Ich weiß nicht, ob ich eine gute Mutter bin aber ich gebe zumindest mein Bestes. Mit 25 wäre ich dazu einfach noch nicht in der Lage gewesen. Das kann man jetzt egoistisch nennen und verurteilen, aber es ist einfach Fakt.
Ich würde mir wünschen, dass Mütter sich hier in Deutschland gegenseitig mehr unterstützen anstatt sich permanent das Leben schwer zu machen. Und Ihr Artikel trägt de facto dazu bei, dass sich Frauen, die nicht mehr in den 20-ern sind aber es sich dennoch erlauben, einen Kinderwunsch zu haben, schlecht fühlen.
Man hat doch immer zwei Möglichkeiten: Ich kann eine 40-jährige Frau ermutigen, dass sie ja noch topfit ist und voll im Leben steht und sie trotz des Alters eine tolle Mutter sein kann oder ich kann dieser Frau auch einen Vortrag über die eigene Vergänglichkeit halten. Bei einer Kinderquote von gerade mal 1,4 Kindern pro Frau würde sich wahrscheinlich schon alleine statistisch gesehen ersteres empfehlen.
Vielleicht sollte man sich allgemein weniger Gedanken machen und mehr leben. Denn kein Mensch weiß, wie lange dieses Leben dauert. Und gerade deshalb muss es gelebt werden. Mit oder ohne Kinder. Als junge Mutter oder spätgebärende Mutter. Das wichtigste ist meiner Meinung nach Toleranz. Und einer Sache bin ich mir sicher: Toleranz ist auch der Weg um zumindest geistig jung zu bleiben.
Sonnige Grüße
Tina
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Der Brief ist meine Antwort auf einen Artikel den Juno Vai am 20.Mai auf Spiegel Online gepostet hat. Titel: „Warum es nicht schön ist, eine alte Mutter zu sein“.
Titelbild: KonstantinChristian/shutterstock.com.
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